Prokrastination: Die Kunst des Aufschiebens und was dagegen hilft

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Eine Frau sitzt am Tisch mit Kaugummi ©Westend61

Du scrollst lieber stundenlang durch dein Smartphone oder sortierst deine Sportsachen nach Farben, anstatt deine Steuererklärung zu schreiben oder dein Home-Workout zu rocken? Dont’ worry – du bist in bester Gesellschaft! Wir prokrastinieren alle hin und wieder mal und das hat nichts mit Faulheit zu tun. Wir verraten dir, warum du Dinge aufschiebst und wie du deine To-Do-Liste endlich abhakst.

Was ist Prokrastination?

Eigentlich wolltest du heute endlich diesen Report schreiben oder dein Home-Workout machen. Aber sobald du deinen Laptop aufklappst und dir das leere Dokument anschaust, fällt dir plötzlich etwas ein. Du solltest erstmal deine E-Mails checken! Schließlich könnte eine wichtige Nachricht dabei sein und das muss ja auch erledigt werden.

Drei Stunden später ertappst du dich selbst dabei, wie du dir auf YouTube bereits das zehnte Katzenvideo anguckst und dein Report ist immer noch nicht fertig. Wie ist das bloß passiert? Außerdem ist es schon so spät geworden und du bist müde. Morgen ist auch ein Tag. Folge: Laptop wird zugeklappt und die Deadline für deinen Report rückt noch ein Stückchen näher. Oder deine Workout-Session wird erneut auf den nächsten Tag verschoben. Kommt dir die Situation bekannt vor?

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Das Phänomen, Dinge aufzuschieben, wird als Prokrastination bezeichnet. Der Begriff lässt sich von dem lateinischen Verb “procrastinare” ableiten und bedeutet “auf morgen verschieben”. Außerdem ist das altgriechische Wort “akrasia” in diesem Begriff enthalten und steht für “handeln wider besseres Wissen1. Mit anderen Worten prokrastinierst du, obwohl es dir bewusst ist, dass das keine gute Idee ist.

Schon die Oma hat damals gesagt: Was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen. Warum schieben wir dann gerade unangenehme Aufgaben trotzdem immer wieder auf den nächsten Tag auf, obwohl wir sie eigentlich weg vom Tisch haben wollen? Klingt auf den ersten Blick unlogisch. Wissenschaftler sind der Meinung, dass die Ursachen für das Aufschiebeverhalten viel tiefer liegen, als es zunächst scheint.

Frau macht Home Workout
©Drakula & Co

Wie entsteht Prokrastination?

First things first: Prokrastination ist kein Zeichen von Schwäche oder etwas, wofür du dich schämen solltest. Schließlich beschäftigen sich Aufschieber unter anderem auch mit aufwendigen Sachen wie die Wohnung putzen oder die Wäsche machen, wenn sie sich vor ihren Aufgaben drücken wollen. Da kann es von Faulheit nicht die Rede sein.

Um zu verstehen, warum du prokrastinierst, musst du in dich hinein hören. Laut Forschung können das die möglichen Ursachen für das chronische Aufschieben sein:

Du lässt dich von negativen Emotionen kontrollieren

Laut Psychologen prokrastinieren 15 bis 20 Prozent der Betroffenen, um negative Emotionen zu vermeiden2. Du findest eine Aufgabe entweder zu langweilig oder zu schwierig. Anstatt deine Emotionen in den Griff zu bekommen, verbringst du deine Zeit lieber mit Sachen, die einfach sind oder Spaß machen wie E-Mails beantworten oder Social Media checken.

Eine Studie3 fand heraus, dass Aufschieber das Bedürfnis, negative Emotionen sofort zu beseitigen, priorisieren, statt sich auf das Ziel, die Aufgabe zu Ende zu bringen, zu fokussieren. Das Problem dabei: Die negativen Emotionen verschwinden nicht. Sie werden sogar verstärkt durch den Zeitdruck, die Angst und die Schuldgefühle.

Schuldgefühle führen zu mehr Stress und haben weitere Prokrastination zufolge. Durch die kurzzeitige Erleichterung, die du erlebst, wenn du unangenehme Aufgaben aufschiebst, belohnst du dich selbst für dein Verhalten. Und genau das löst den Teufelskreis aus. Wenn wir belohnt werden, neigen wir dazu, unser Verhalten zu wiederholen. Folge: Prokrastination wird zu einer Gewohnheit.

Du setzt die Qualität deiner Leistung mit deinem Selbstwertgefühl gleich

Wertschätzung und Anerkennung gehören zu menschlichen Grundbedürfnissen. Wenn wir uns Mühe geben, wollen wir dafür auch gelobt werden. Das Streben nach Anerkennung durch andere kann aber unter Umständen die Ursache für Prokrastination sein. In diesem Fall setzt du deine Performance mit deinen Fähigkeiten gleich, die du wiederum mit deinem Selbstwertgefühl in einen direkten Zusammenhang bringst4.

Wenn du Angst hast, durch deine Performance bzw. das Lösen der Aufgabe die eigenen Fähigkeiten als unzureichend darzustellen, schiebst du die Aufgabe lieber auf. Prokrastinieren scheint an der Stelle für viele Menschen die ideale Lösung zu sein.

Wenn du prokrastinierst, ist das eine Form von Selbstschutz. Der Faktor, auf den du einen direkten Einfluss hast, ist wieviel Mühe du dir bei der Aufgabe gibst. Ist das Ergebnis am Ende schlecht, bedeutet das nicht, dass du nicht talentiert bist. Du warst abgelenkt, hast andere Aufgaben erledigt und konntest deshalb nicht dein Bestes geben. Die perfekte Ausrede.

Denke nur an die Zeit zurück, als du noch zur Schule gegangen bist oder Student warst. Vor der Prüfung haben einige Mitschüler gesagt, sie hätten für die Klausur nur zwei Stunden gelernt oder gar nicht. Warum? Wenn sie keine gute Note bekommen, haben sie eine “gute” Ausrede parat.

Du verlässt dich auf dein Zukunfts-Ich 

Du hast gerade keine Lust darauf, deine To Do Liste abzuhaken? Warum auch, das kann dein Zukunfts-Ich erledigen. Nicht dein Problem! Denkst du manchmal so? Laut Forschung5, haben wir das der Evolution zu verdanken.

Auf neuronaler Ebene nehmen wir unser “zukünftiges Selbst” eher als Fremden wahr, statt als Teil von uns selbst. Wenn wir prokrastinieren, denken Teile unseres Gehirns, dass die Aufgaben, die wir aufschieben sowie die damit verbundenen negativen Gefühle, die uns in der Zukunft erwarten, das Problem von jemand anderem sind.

Aus der Sicht der Evolution soll das auch Sinn machen, wenn es um das Überleben im hier und jetzt geht. Schließlich fokussierst du dich darauf, Schwierigkeiten und negativen Emotionen zu entkommen, damit es dir gut geht. Du bevorzugst dabei die kurzfristige Lösung und denkst nicht zu weit in die Zukunft. In unserer modernen Gesellschaft müssen wir jedoch im Voraus planen und vorsorgen. Dementsprechend treffen wir unsere Entscheidungen heutzutage meist zukunftsorientiert. Es sei denn, wir prokrastinieren gerade.

Mann spielt am Handy
©Steve Prezant

Warum ist Prokrastination gut?

Ja, richtig gelesen! Das Ganze hat auch positive Seiten. Wenn du dich nicht sofort auf eine Aufgabe stürzt, hast du mehr Zeit, um dir über die Lösung Gedanken zu machen. So hat ein Versuch6 gezeigt, dass Probanden, die eine Aufgabe so schnell wie möglich erledigen wollten, aufgrund ihrer Eifer benachteiligt waren.

Die Aufgabe bestand darin, mehrere Einkaufstüten in das Haus zu tragen. Die Versuchspersonen haben sich so viele Tüten geschnappt, wie sie nur tragen konnten, um so das Ziel schneller zu erreichen. Sie waren aber trotzdem nicht in der Lage, alle Einkaufstüten auf einmal zu tragen und mussten deshalb doppelt laufen. Zudem war der Prozess für sie dadurch viel anstrengender. Fazit: Schneller bedeutet nicht immer besser. Es kann durchaus sinnvoll sein, sich zuerst Gedanken zu machen, auf welche Weise sich eine Aufgabe am besten lösen lässt.

Aufschieber sind kreativ. Wer eine Hausarbeit oder ein wichtiges Arbeitsprojekt aufschiebt, kann thematisch tiefer in die Materie eindringen. Gerade bei komplexen Themen und kreativen Projekten kann es helfen, sich detaillierter damit auseinanderzusetzen oder das Ganze ein paar Tage ruhen zu lassen. Das kann gute Einfälle und Inspiration fördern.

So hat ein Experiment7 gezeigt, dass Probanden bei der Aufgabe, neue Geschäftsideen zu entwickeln, mehr Kreativität zeigten, wenn sie zwischendurch 5 Minuten am Computer spielen durften. Im Vergleich dazu war die Kontrollgruppe, die die Aufgaben direkt lösen musste, weniger kreativ und einfallsreich.

Aber natürlich darfst du dabei nicht die Deadline außer Acht lassen. Erledigst du ein wichtiges Arbeitsprojekt auf den letzten Drücker, kann das Ganze auch nach hinten losgehen. Du lässt dich von dem ganzen Stress und dem Zeitdruck überwältigen und kannst so kein gutes Ergebnis liefern. Hier gilt es, die goldene Mitte zu finden.

Was kann man gegen Prokrastination tun?

Damit du in Zukunft weniger Zeitdruck hast und deine To Dos endlich abhaken kannst, haben wir ein paar Tipps gegen Aufschieberitis vorbereitet:

Erkenne rechtzeitig die Symptome 

Was machst du häufig, wenn du deine To Dos aufschiebst? Glänzt deine Wohnung plötzlich vor Sauberkeit? Startest du einen Serien-Marathon auf Netflix? Oder ist keine E-Mail mehr vor dir sicher? Analysiere dein Verhalten und mach dir deine “typischen” Strategien bewusst. Sobald du ein Muster erkennst, ist das der erste Schritt in die richtige Richtung, um Prokrastination zu überwinden.

Beseitige die Störfaktoren

Du schaust ständig auf dein Smartphone, anstatt an deinem Projekt weiterzuarbeiten? Dann lass dein Handy in einem anderen Zimmer liegen. Oder setze dir ein neues, komplexes Passwort für deine Social Media App, die dich ständig ablenkt. Je umständlicher der Zugang, desto geringer die Versuchung.

Frau schaut Fernsehen
©Westend61

Verbessere dein Emotionsmanagement 

Du hast keine Lust auf dein Arbeitsprojekt oder dein Workout? Anstatt das Ganze erneut zu verschieben, ändere deine Einstellung und die Emotionen, die du damit verbindest. Denke daran, warum du das Projekt zu Ende bringen solltest. Wenn die Aufgabe einem bestimmten Zweck dient, wird es dir einfacher fallen, sie zu erledigen.

Das Gleiche gilt für dein Training! Warum trainierst du? Was ist dein Ziel? Dein persönliches “Warum” ist die beste Belohnung, die es gibt. Dagegen kommt die kurzzeitige Erleichterung, wenn du ein Workout skippst, nicht an.

Erinnere dich an deine Erfolgserlebnisse

Du hast Angst den Ansprüchen nicht gerecht zu werden und verschiebst deshalb deine Aufgaben auf den nächsten Tag? Erinnere dich an deine früheren Erfolge. Hast du schon mal eine ähnliche Aufgabe erfolgreich gemeistert? Oder denk daran, wie stolz du oder dein Vorgesetzter sein werdet, wenn du die Aufgabe gut machst. Glaub an dich, du schaffst das!

Vergib dir selbst

Du hast dich selbst schon wieder beim Prokrastinieren erwischt? Keine Sorge! Jeder Mensch prokrastiniert mal ab und zu. Deshalb musst du dich nicht gleich schlecht fühlen. Eine Studie8 hat herausgefunden, dass Studenten, die in der Lage waren, sich selbst für Prokrastination beim Lernen zu vergeben, während der nächsten Prüfungsphase weniger prokrastiniert haben.

Die Forscher haben daraus geschlussfolgert, dass Selbstvergebung die eigene Produktivität fördert. So konnten Studierenden über ihr “falsches” Verhalten hinweg kommen und sich auf die neuen Prüfungen besser konzentrieren.

Messe deinen Wert nicht an deiner Leistung

Du bist mehr als die Arbeit, die du leistest, oder die Erfolge, die du bist jetzt in deinem Leben gefeiert hast. Auch Niederlagen gehören dazu und geben dir die Möglichkeit zu wachsen. Definiere dein Selbstwertgefühl auch durch deine Eigenschaften als Person. Wie verhältst du dich deinen Mitmenschen gegenüber? Wofür schätzen dich deine Freunde?

Überlege dir den nächsten Schritt

Was würdest du als erstes tun, wenn du die Aufgabe machst, auch wenn du sie gerade nicht machst. Formuliere die Schritte so konkret wie möglich. Sobald du eine Struktur hast, fange mit einfachen Sachen an. Vielleicht öffnest du erstmal das Dokument und schreibst das Datum auf. Oder du ziehst deine Sportsachen an. Warte nicht darauf, in Stimmung zu sein, sondern fang einfach an. Motivation kann im Prozess kommen.

Erzähle anderen über dein Vorhaben

Chronische Aufschieber werden meistens aktiv, wenn die Deadline näher rückt und sie mehr Druck haben. Diesen Druck kannst du dir auch selbst schaffen, indem du über dein Vorhaben auch anderen Menschen erzählst. Schon hast du mehr Gründe, um endlich loszulegen.

Fazit

  • Prokrastination bedeutet, Erledigungen ständig aufzuschieben, obwohl du weißt, dass das keine gute Idee ist.
  • Wir neigen dazu, unangenehme Aufgaben, die uns keinen Spaß machen oder schwierig sind, aufzuschieben und suchen uns dabei eine Ablenkung, die uns eine kurzzeitige Erleichterung bietet.
  • Laut Experten kann Prokrastination auch positive Effekte haben wie bessere Auseinandersetzung mit komplexen Aufgaben und mehr Kreativität.
  • Tipps gegen Aufschieben sind: Ablenkungen beseitigen, eine Struktur schaffen, Prioritäten richtig setzen, dir selbst für das Prokrastinieren in der Vergangenheit vergeben und dir den Zweck der Aufgaben bewusst machen.

Artikel-Quellen

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  • 1https://www.nytimes.com/2019/03/25/smarter-living/why-you-procrastinate-it-has-nothing-to-do-with-self-control.html
  • 2https://ideas.ted.com/quiz-are-you-a-procrastinator-or-a-pre-crastinator/
  • 3Sirois, F. and Pychyl, T. (2013) Procrastination and the Priority of Short-Term Mood Regulation: Consequences for Future Self. Social and Personality Psychology Compass, 7 (2). 115 – 127. ISSN 1751-9004. http://eprints.whiterose.ac.uk/91793/1/Compass%20Paper%20revision%20FINAL.pdf
  • 4https://ideas.ted.com/tired-of-procrastinating-to-overcome-it-take-the-time-to-understand-it/
  • 5Hal E. Hershfield (2013): Future self-continuity: how conceptions of the future self transform intertemporal choice. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC3764505/
  • 6Lisa R. Fournier (2018): Starting or finishing sooner? Sequencing preferences in object transfer tasks. In: Psychological Research volume 83 (2019). https://link.springer.com/article/10.1007/s00426-018-1022-7
  • 7https://www.nytimes.com/2016/01/17/opinion/sunday/why-i-taught-myself-to-procrastinate.html?_r=0
  • 8Michael J.A. Wohl *, Timothy A. Pychyl (2010): I forgive myself, now I can study: How self-forgiveness for procrastinating can reduce future procrastination. https://law.utexas.edu/wp-content/uploads/sites/25/Pretend-Paper.pdf